07.01.20

Pressemitteilung: »Literaur in Weißensee« wird nach sieben Jahren eingestellt

(Berlin) »Mit einer neuen Lesereihe will Alexander Graeff wieder Literatur in Weißensee etablieren« titelte 2013 der tip Berlin. Seitdem fanden 44 Ausgaben statt. Nun erklärte Graeff das Ende der Reihe. 

Wenn es am schönsten ist, soll man ja bekanntlich aufhören. Diesem Sprichwort folgte jetzt die Lesereihe »Literatur in Weißensee«. Auf dem scheinbaren Höhepunkt des Schaffens gab der Initiator und Gastgeber der Reihe Alexander Graeff jetzt bekannt, dass er fortan keine fünf bis sechs Lesungen pro Jahr mehr für die Reihe kuratieren wird.

Dabei trat die Reihe 2019 noch einmal medienwirksam in Erscheinung. Auf der Grundlage einer Kooperation mit dem Unabhängigen Lesereihen e. V. präsentierte sich »Literatur in Weißensee« jenseits des festen Veranstaltungsortes, der Brotfabrik in Weißensee, zweimal in Nürnberg. Gefördert wurden die beiden Lesungen im Rahmen des Unabhängigen Lesereihen Festivals (ULF) von der Stadt Nürnberg und der Kulturstiftung des Bundes. Eine Berliner Lesereihe wurde in Bayern gefördert? Was so komisch anmutet, ist auch der Fördersituation in Berlin geschuldet. Diesbezüglich kann Graeff nach sieben Jahren kontinuierlichem Literaturangebot ein langes, klagendes Lied singen.

Das Kulturamt im Bezirk Pankow hatte die Reihe im zweiten Jahr ihrer Existenz mit 4.760,- Euro unterstützt – danach nie wieder! Trotz zahlreicher Bewerbungen beim Kulturamt und auch bei der spartenoffenen Förderung auf Senatsebene gab es für ein kontinuierliches Veranstaltungsformat unter der sich über die Jahre beim Publikum etablierenden Marke »Literatur in Weißensee« kein Geld mehr. Auch die konsequente Anbindung der Reihe an den Ortsteil blieb ohne Bedeutung. Dass die Wolfdietrich-Schnurre-Bibliothek von Beginn an ein Regal mit den Büchern der literarischen Gäste von »Literatur in Weißensee« installierte und die Verlage der Lesenden es mit Buchspenden füllten, konnte das Kulturamt auch nicht umstimmen. Es legitimierte die zahlreichen Ablehnungen damit, dass eine fortlaufende Kulturveranstaltung nicht über die Projektförderung finanziert werden könne. Es gab aber auch einen »künstlerischen Ablehnungsgrund«. Das Gremium, das das Kulturamt in Pankow in Sachen Förderungsvergabe beratend unterstützen soll, ist seit 2013 bis heute offensichtlich nicht mit Juror*innen besetzt, die über Projekte im Bereich Gegenwartsliteratur entscheiden können. »Projekte verstorbener Autoren« (Graeff betont hier die männliche Form) wurden signifikant häufiger gefördert als Projekte, die die Literatur von heutigen Autor*innen präsentieren.

Auf Senatsebene dagegen bekam die Reihe als Ablehnungsgrund zu hören, dass eine Veranstaltung, die sich an einen Berliner Ortsteil und dessen Literaturgeschichte koppelt, für eine Förderung aus stadtweiten Mitteln nicht geeignet sei. Man empfahl eine Bewerbung auf Bezirksebene. Mit diesem »provinziellen Kreislauf der Ignoranz«, wie ihn Graeff nennt, musste er all die Jahre arbeiten. Zumindest hat die Senatsverwaltung für Kultur und Europa mittlerweile auf die obsolete Projektförderstruktur reagiert und für den Haushalt 2020/21 ein Budget für Lesereihen und andere fortlaufende Literaturformate, z. B. auch für Literaturmagazine, eingerichtet.


Vor allem aber waren es die literarischen Gäste, die an »Literatur in Weißensee« glaubten und zum größten Teil ohne Honorare lasen. Vor dem Hintergrund der strukturellen Hürden war es erstaunlich, dass in sieben Jahren trotzdem 44 Autor*innen zu Gast in der Brotfabrik waren. Graeff betont, dass ohne dieses Engagement für die Gegenwartsliteratur die Reihe nicht denkbar gewesen wäre. Dankend hebt er auch die Unterstützung von Iris Bauer und Jörg Fügmann vom Glashaus e. V., dem Trägerverein der Brotfabrik, hervor: »Von Anfang an hat die Geschäftsführung der Brotfabrik an die Reihe geglaubt und strukturell, ideell und finanziell gefördert.« Daneben ist noch das Verlagshaus Berlin erwähnenswert, das ebenso die Reihe unterstützte. Graeff bedankt sich bei Andrea Schmidt, Dominik Ziller und Jo Frank.


Nun will sich Graeff, der seit 2016 das gesamte Literaturprogramm in der Brotfabrik unter dem Label »BrotfabrikLiteratur« verantwortet, gedanklichen Raum für neue Projekte schaffen – sicher auch ein Grund, weshalb er »Literatur in Weißensee« einstellt.